Interview mit Prof. Arnold Weissman Strategien für Familienunternehmen

Weissman Gruppe

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Die digitale Transformation als Bedrohung und Chance für den deutschen Mittelstand – dieses Thema treibt Prof. Dr. Arnold Weissman um. Wie kaum ein anderer hat er die DNA familiengeführter oder  -kontrollierter Unternehmen studiert. Der Wirtschaftswissenschaftler weiß um ihre Stärken, kennt aber auch ihre Schwächen. Was sie alle bräuchten, sei eine Agenda 2030. Ein Gespräch über den Spagat zwischen Tradition und Innovation, über Nachhaltigkeit und zukunftstaugliche digitalisierte Geschäftsmodelle.

Sie haben sich als Berater ganz den Familienunternehmen verschrieben, woher rührt diese Leidenschaft?

Prof. Weissman:  Ich selbst komme aus einem klassischen Familienunternehmen. Bereits als junger Student habe ich die Firma meiner Eltern übernommen, die aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden mussten. Das war die Schule meines Lebens! Dort habe ich gesehen und erfahren, dass das Führen eines Familienunternehmens nicht nur etwas sehr Anspruchsvolles ist, sondern auch etwas sehr Schönes und Emotionales. Es geht um die Familie und die ihr verbundenen Menschen, um Arbeiter und Angestellte, und darin liegt eine besondere Verantwortung. Man führt ja ein Familienunternehmen nicht über einige Jahre, sondern über Generationen. Man bewahrt etwas, pflegt es, bringt es mutig voran, um es irgendwann weiterzugeben.

Damit haben Sie die besondere DNA familiengeführter Unternehmen bereits angesprochen. Was unterscheidet diese Firmen von anderen?

Ihr Denken ist langfristig. Nachhaltigkeit ist für sie kein Modewort, sondern innere Überzeugung. Die guten Familienunternehmen sind nah am Kunden, denken mehr an Kundenzufriedenheit als an Shareholder-Value. Sie konzentrieren sich meist nur auf eine Branche oder auf ein Thema. Dort sind sie allerdings dann auch tonangebend, oft sogar in den Weltmärkten führend. An der Spitze steht eine Person zum Anfassen, die bei inhabergeführten Betrieben für lange Zeit die Geschicke lenkt. Mit dieser Rückendeckung können Familienunternehmen ganz anders investieren und auch besser mit Rückschlägen umgehen. Außerdem sind Familienunternehmen oft in der Region verwurzelt. Corporate Social Responsibility ist hier gelebte Unternehmenskultur und kein Marketing-Gag!

Sie stellen das langfristige Denken, die Nachhaltigkeit der Familienunternehmen und Hidden Champions heraus.  Wie kompatibel ist diese Werteorientierung mit der digitalen Transformation?

Der Spagat zwischen Tradition und Innovation, dem Erhalt der Werte und der notwendigen Neu-Ausrichtung im Markt kann gelingen. Dazu braucht es einen vernetzten Masterplan und vor allem eine Führung, die Raum für Neues schafft. Die „traditionserhaltende Erneuerung“ ist eine der größten Herausforderungen. Deutsche Familienunternehmen sind unschlagbar bei sogenannten inkrementellen Innovationen, also der stetigen Verbesserung ihrer Produkte, seien es Motorsägen oder Fischfiletiermaschinen. Aber was disruptive Innovation betrifft, die ganz stark aus neuen digitalen Geschäftsmodellen kommt, sehe ich die Familienunternehmen besonders gefährdet. Sie stecken in einem „Innovator´s Dilemma“: Sie machen alles richtig und dennoch scheitern sie an Innovationen. – Ihr Geschäftsmodell, das die Familie vermögend gemacht und vielen Menschen Lohn und Brot gegeben hat, ist auf kontinuierliche Weiterentwicklung, Spitzenqualität und Fehlerlosigkeit getrimmt. – Ganz anders das der New Economy nach dem Vorbild des Silicon Valley. Da geht es um Schnelligkeit, ums Ausprobieren und Fehlermachen, um radikale Veränderungen, die etwas komplett Neues entstehen lassen. Diese unterschiedlichen Wertesysteme in Einklang zu bringen, ist schon für Konzerne fast unlösbar. Aber für Familienunternehmen mit ihrer Traditionsverhaftung ist dieser Spagat noch schwerer.

Heißt das, Familienunternehmen müssen das Gespenst der digitalen Disruption fürchten oder haben sie eine Chance, sich gegen Newcomer mit neuen Geschäftsmodellen zu behaupten?

Die alte Welt ist Geschichte. Die digitale Disruption der Gesellschaft, der Ökonomie stellt alles auf den Kopf. Die Karten werden neu gemischt. Das ist für viele eine Bedrohung. Firmen wie Google, Amazon oder Tesla nehmen keine Rücksicht auf andere, sie zerstören. Radikale Innovation bedeutet firmenintern immer eine Bedrohung für das Kerngeschäft. Und dennoch liegt im digitalen Wandel auch eine Monsterchance, die gerade Traditionsunternehmen ergreifen müssen. Entscheidend für ihre Zukunft ist die Fähigkeit, sich in immer kürzer werdenden Zyklen immer wieder zu erneuern, sich quasi immer wieder neu zu erfinden. Dabei ist eine starke, wertebasierte Unternehmenskultur ein ganz zentraler Hebel. Noch wichtiger aber ist das Geschick der Chefetagen, Innovation als Kernkompetenz zu etablieren. Ein digital souveränes Unternehmen zu schaffen, ohne dabei die Herkunft zu vergessen. Das funktioniert am ehesten, wenn man der Innovation Raum gibt, zum Beispiel in einer eigenen Abteilung oder einem Spin Off. Ich bin sicher, dass sich unsere Familienunternehmen tapfer schlagen werden.

Wie können Sie sich als Strategieberater helfend einbringen?

Ich werbe auf allen Kanälen für eine Agenda 2030. Die braucht nicht nur die Politik, sondern auch jedes Unternehmen. Es muss eine Vorstellung entwickeln: Wo stehen wir mit unserer Familie und unserem Betrieb in 10 bis 15 Jahren? Machen wir dann noch das Gleiche wie heute? Womit verdienen wir morgen unser Geld? Dass alles smart wird, Produkte digital werden, ist das kleine Einmaleins, das jeder versteht. Was ich auf Veranstaltungen, Podien und in Workshops mit Unternehmerinnen und Firmeninhabern diskutiere, sind digital geprägte Geschäftsmodelle. Das ist eine ganz andere Welt. Wir haben es in der Musik erlebt. Am Anfang gab es die illegale Tauschbörse Napster, heute nutzen wir Spotify oder sehen TV on demand. – Diesen digitalen Umbrüchen muss sich jede Führung stellen. Auch wenn das Unternehmen super läuft, muss ein Sozialplan ausgearbeitet werden. Denn in Zukunft wird wahrscheinlich nur noch jeder zweite Mitarbeitende gebraucht.

Neben der digitalen Herausforderung müssen sich Familienunternehmen mit dem Problem der Nachfolge auseinandersetzen. Sind Familienstrukturen ein Auslaufmodell?

Sicher sind sie kein Auslaufmodell, wie manche Forscher immer wieder behaupten. Die sehen ja das Familienunternehmen als Fehlkonstruktion auf dem Weg zum Kapitalmarkt. Ich halte es eher für ein Erfolgsmodell. Allerdings ist das Problem der Nachfolge systemimmanent. Irgendwann stellt sich für jedes von ihnen die Frage: Soll das Familienunternehmen eigentümergeführt oder eigentümergesteuert sein? Wer übernimmt die Aufsicht? Wie transparent soll die Firma gelenkt werden? Um den Erfolg des Unternehmens zu sichern, muss die Nachfolge wirklich von langer Hand geplant und konsequent umgesetzt werden.

Sie plädieren für einen ganzheitlichen Führungs-und Managementansatz, was zeichnet ihn aus?

Zunächst ist es mir wichtig, dass wir zwischen Management und Führung unterscheiden. Management bezieht sich auf die Sachebene, auf Strukturen und Prozesse. Führung bedeutet, Menschen auf ein höheres Niveau zu bringen. Wenn ich ein Unternehmen führe, ist es meine Aufgabe, die Mitarbeitenden und mich auf ein höheres Level zu bringen. Führende haben Folgende! Ob Sie eine Führungskraft sind, entscheidet nicht Ihre Position im Organigramm, sondern es entscheiden Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Mein Credo lautet:

„Nichts macht erfolgreicher, als andere erfolgreich zu machen.“

Ich bezeichne mich als „egoistischen Altruisten“. Der Altruist denkt selbstlos nur an andere, der Egoist nur an sich. Der „egoistische Altruist“ denkt an andere, weil er weiß, dass er davon selber profitiert. Das ist eine Win-Win-Situation, in der beide gewinnen, wenn auch nicht unbedingt gleich viel. Nutzen bieten – Nutzen ernten! Verantwortung für das eigene Tun zu  übernehmen – ist das Herzstück von allem.