Was verbindet Menschen jenseits aller kulturellen und religiösen Unterschiede? Mehr als wir glauben. Trotz der gegenwärtigen Tendenzen zu Nationalismus und Abgrenzung leben wir in einer globalen Gesellschaft. Aber wie wollen wir sie gestalten? Welche Rolle spielt der Mensch? Haben Ethik und Moral noch Platz in Ökonomien, die auf Wachstum und Gewinn ausgerichtet sind? Und wie lässt sich der soziale Frieden sichern? Fragen wie diese beschäftigen die Mitarbeiter des Weltethos-Institutes, das der Universität Tübingen angegliedert ist. SHC-Redakteurin Beate Hoffbauer traf Dr. Bernd Villhauer, den Geschäftsführer, zum Gespräch.
Weltethos ist ein großes Wort. Was ist darunter zu verstehen? Gibt es überhaupt Grundwerte, die allen Kulturen und Religionen gemein sind?
Dr. Bernd Villhauer: Wir am Weltethos-Institut geraten schnell in den Verdacht, eine dogmatische Weltanschauung oder Glaubenslehre zu vertreten. Weit gefehlt. Wir sind ein Universitätsinstitut für Wirtschaftsethik und Interkulturalität, das außerdem dem Projekt von Professor Hans Küng verpflichtet ist. Der Theologe hat mit seinem Team über Jahrzehnte untersucht, was die Menschen verbindet, was ihnen trotz kultureller und religiöser Unterschiede gemeinsam ist. Diese Erkenntnisse helfen uns, interkulturelle Prozesse besser zu verstehen. Wir leben ja längst in einer Welt-Gesellschaft. Wenn wir sie gestalten wollen, dann müssen wir diese Realität anerkennen, nur abstrakte Ideale helfen nicht weiter. Zu dieser Realität gehören die moralischen Grundlagen, die Küng beschrieben hat und die in allen großen Glaubensgemeinschaften zu finden sind. Man kann sie in zwei Prinzipien und vier Werten zusammenfassen. Das Prinzip Menschlichkeit bedeutet: Menschen sollen nicht als Dinge oder Mittel zum Zweck betrachtet werden, sondern als kostbare und einzigartige Wesen mit eigener Würde. Hinter dem Prinzip der Gegenseitigkeit steckt die Goldene Regel: Was Du nicht willst, dass man Dir tu’, das füg’ auch keinem andern zu. Eng damit verbunden sind die Werte Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit, Toleranz und Partnerschaft zwischen den Geschlechtern. Dieser Wertekanon ist interreligiös und kulturübergreifend zu finden. Darauf konzentriert unser Institut seine Arbeit. Damit lässt sich schon einiges aufbauen, ganz gleich, wo und wie man lebt.
Trotz dieser Grundwerte, die alle Menschen verbinden, gibt es Kriege, Terror, Verfolgung, Unterdrückung, Intoleranz – ist Ihre Arbeit reine Theorie und Forschung im Elfenbeinturm?
Die Zeit des Elfenbeinturms ist vorbei. Doch mit Blick auf die Welt, die nicht ideal ist, kann die Frage auch lauten: Warum ist das menschliche Experiment bisher eigentlich recht gut gelaufen? Es ist doch verblüffend, dass sich die Menschheit noch nicht ausgelöscht hat, trotz unseres enormen Zerstörungspotenzials. Wir haben überlebt, weil es diese verbindenden Werte und Prinzipien gibt. – Wir am Institut ignorieren die Probleme der Welt ganz gewiss nicht. Wir sind auch kein reines Theorie-Institut. Neben Forschung und Lehre haben wir ganz praktische Aufgaben. Zum Beispiel arbeiten wir mit der Wirtschaft zusammen, um ethische Prinzipien konkret auszugestalten. Wir bieten Lösungsvorschläge: es geht um humanistische Managementstrategien, Vertrauensbildung, nachhaltige Ökonomie, Social Entrepreneurship und Interkulturalität in Aktion. Wir haben zum Beispiel gerade ein Flüchtlingsprojekt laufen. Wir fragen dabei: Wie sehen die Flüchtlinge unser Land? Was wollen, was können sie einbringen? Welche Ausbildungen wären wichtig?
Flüchtlinge bringen auch ihre Religion mit. Sehen Sie im Islam eine Gefahr für unsere Demokratie und Werteordnung?
Aus meiner Sicht ist nicht der Islam das Problem, sondern seine fundamentalistische Interpretation. Entscheidend ist, welche Form der Religion sich bei den Menschen in einer spezifischen Kultur und Lebensweise ausgebildet hat. Kultur und Bildung sind der Schlüssel! Die Form des Islam, die im Austausch mit anderen Kulturen steht, hat sich weiterentwickelt, ist liberal, weltoffen und integrierbar. Es gibt aber auch den Steinzeit-Islam, der sich dazu eignet, instrumentalisiert zu werden. Und es ist kein Zufall, dass aus dieser Form von Religion dann Terrorismus entsteht. Umso wichtiger ist die Frage nach übergreifenden Werten, denn daran partizipiert der Islam natürlich auch. In Deutschland gab es leider lange Zeit zwei Lager: die Rechten, die alles nicht wollten und sagten: „Raus mit denen“, die am vergangenen Ideal einer homogenen Gesellschaft festhielten, und andererseits die Linken, die alles, was gegen diese Homogenität gerichtet war, großartig fanden und Multikulti predigten, ohne Sensibilität für reale Ängste und Reibungen. Beide Haltungen sind gefährlich und keine Grundlage für ein Zusammenleben.
Wir müssen offen über Werte reden, gerade auch den Wert der Toleranz. Es darf natürlich auch nicht so sein, dass wir alles akzeptieren – das wäre falsch verstandene Toleranz. Wer die Gemeinsamkeit nicht will, der wird sie auch nicht bekommen – Eine bewusste Abgrenzung gegen die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die Ausbildung von Parallelgesellschaften, ist nicht hinnehmbar. Da sind wir wieder beim Weltethos: Wie organisieren wir die Gemeinsamkeiten so, dass wir zusammenleben können? Dazu gehört für mich ganz klar die Einhaltung der deutschen Rechtsordnung, aber sprachliche Gemeinsamkeiten und kulturelle Regeln sind wichtig. Da gibt es aus meiner Sicht zum Beispiel gute Argumente für ein Burkaverbot. Wir zeigen Gesicht! Die Vollverschleierung entspricht nicht nur nicht unseren kulturellen Praktiken, sie stellt ein echtes gesellschaftliches Miteinander in Frage. Frauen sind gleichberechtigt, sie müssen erkennbar und anerkannt sein.
Ihr Fokus liegt auf der Wirtschaft. Sie bringen Manager und Unternehmer ins Gespräch über Werte. Wie groß ist das Interesse an Fragen zu Ethik und Moral im Geschäftsleben?
Wir begleiten die Entwicklung von Führungskräften von Anfang an. Wir versuchen also, die ganze Spannbreite der Lebensstufen bei den Führungspersönlichkeiten abzudecken. Das beginnt mit den Studenten – wir bilden die künftigen Manager aus – und geht über die Gründer bis hin zu den Firmenlenkern. Viele Führungskräfte sind ja hochmotiviert und gehen Fragen der Zukunft mit großem persönlichen Einsatz an. Sie versuchen, Werte und ethische Innovationen in ihrem Alltagsgeschäft ernst zu nehmen. Selbstverständlich gibt es auch Ignoranten, die damit überfordert sind, doch diese Gruppe ist eher klein. Die große Mehrheit ist bereit und fähig, das Richtige zu tun – doch oft fehlt die Zeit. Das Tagesgeschäft frisst sie auf. Einen Satz höre ich immer wieder: „Das würde ich gern vorantreiben, aber zunächst muss ich mich um den Umsatz kümmern, einen Rechtsstreit schlichten et cetera.“
Wie kann sich Ihr Institut einbringen, wie können Sie als Wissenschaftler helfen?
Genau da liegt eine unserer Hauptaufgaben. Wir können Managern und Unternehmern Lösungsansätze zeigen. Dazu müssen wir erst einmal mit ihnen ins Gespräch kommen und begreifen, wo ihre Probleme liegen. Im besten Fall kennen wir die konkrete Arbeitssituation, in der die Herausforderungen entstehen. Erst dann können wir praktische Lösungen anbieten. Predigen hilft da gar nichts. Vielfach können die Probleme ganz neu angegangen werden, wenn man eine ethische und moralische Seite ins Spiel bringen kann. Zum Beispiel können veränderte Strukturen in der internen Organisation dazu führen, dass Mitarbeiter stärker partizipieren und der Chef entlastet wird, sodass er mehr Zeit für andere wichtige Dinge hat. Oder es wurde übersehen, dass man mit Nachhaltigkeitsstrategien, zum Beispiel im Energiebereich, Kosten sparen kann. Oder ein besseres Diversity Managment hilft uns, in neuen Märkten Fuß zu fassen. Wir versuchen immer, Theorie und Praxis zusammenzubringen.
Hat eine humanistische, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Ökonomie in einer auf Gewinnmaximierung fokussierten Wirtschaftsordnung, die durch Globalisierung und den digitalen Wandel noch befeuert wird, überhaupt eine Chance?
Ethik ist keine Schönwetterveranstaltung. Das ist wie beim Segeln. Erst bei hoher Geschwindigkeit und bei plötzlichen Kurswechseln merkt man, was das Team taugt und ob das Material hält. Ich glaube, in der Wirtschaft gilt: Je schneller, aggressiver und disruptiver alles wird, umso wichtiger ist ein Kompass, eine Werteorientierung. Das ist kein Gegensatz – Ethik ist nicht die Sahnehaube auf der Torte, die noch schön dazukommt, weil der Rest schon stimmt. Ethik ist vielmehr das verlässliche Grundgerüst, das alles zusammenhält. Daran müssen wir immer wieder arbeiten. Wir müssen Ethik als Ertüchtigung in schwierigen Zeiten begreifen, damit die Firmen fitter werden und Veränderungen besser meistern können als vorher.
Wie lassen sich Ethik und Moral, Ihre Ideen und Empfehlungen durchsetzen? Brauchen wir internationale Verträge und Verpflichtungen? Wie stark sind Politik und Gesellschaft gefordert?
Ganz klar benötigen wir internationale und nationale Abkommen und damit die Politik. Wir brauchen aber auch eine starke Zivilgesellschaft mit gut informierten und aktiven Akteuren auf allen Ebenen. Als Institut suchen wir den universitären, wirtschaftlichen und politischen Diskurs. Die Politik ist für uns vor allem als Resonanzraum wichtig. Wir sehen uns als Gesprächspartner zwischen Wirtschaft, Universität und Zivilgesellschaft. Wichtig ist, dass wir Lern- und Veränderungsprozesse anstoßen. Ich finde zum Beispiel den Bereich des Finanzwesens besonders spannend; da nehmen wir nachhaltige Investmentformen in den Fokus, auch FinTechs, Cryptocurrencies (Kryptowährungen), Impact Investment und ähnliches. Was wir allerdings wirklich nicht brauchen, sind weitere wohlklingende Manifeste oder zahnlose Selbstverpflichtungen, die nur dem Image dienen. Wirkung und Relevanz jeder einzelnen Initiative müssen messbar sein – das ist mir wichtig.